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Rezensionen

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978-3-8440-6195-6
Anton Sterbling
Am Rande Mitteleuropas
Über das Banat und Rumänien
Buchreihe Land-Berichte
Rezension
Deutsch-Rumänische Hefte 2/2019, S. 39, 28.10.2019

Anton Sterblings Reflexionen über eine Landschaft Mitteleuropas
Das Banat in seiner Komplexität VON MARKUS BAUER

Das Banat als europäische Kulturregion neu zu entdecken, wird in der Zukunft sicher häufiger versucht werden, wenn Temeswar/Timișoara im Jahr 2021 europäische Kulturhauptstadt sein wird. Vieles aus der Geschichte und Kultur dieser Region ist mit Gewinn an Einsichten über Südosteuropa und Rumänien noch zu entdecken. Zu diesen Themen gehört auch das Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklungen, die die Landschaft und seine Bewohner geprägt haben. Diesem Thema widmet sich bereits seit Jahren der Soziologe Anton Sterbling, der neben seiner fachlichen Qualifikation den Vorteil mitbringt, die Region sehr genau zu kennen, weil er dort geboren und aufgewachsen ist. Der Autor des hier anzuzeigenden Bandes widmet sich zunächst der sozialen Topografie der Banater Schwaben, um dann der aktuellen Entwicklung Rumäniens und persönlichen Rückblicken Raum zu geben.
"Geographisch erstreckt sich das aus der Banater Tiefebene, dem Banater Hügelland und dem Banater Bergland bestehende historische Banat, grob gesprochen, zwischen der Theis im Westen, der Marosch im Norden, der Donau im Süden und den Ausläufern der Karpaten im Osten. Zumeist aber werden einige Gebiete nördlich der Marosch zum Banat gerechnet." Dabei ist als entscheidendes Merkmal der Region ihre Komplexität festzuhalten: "Das Banat stellt einen Kulturraum dar, in dem sich - historisch betrachtet - verschiedene ethnische, kulturelle und religiöse - Gebilde kompliziert überlagert und administrative und politische Grenzen sich mehrfach verschoben haben."
Sterblings Einstieg ist, chronologisch, die Wirkung des Ersten Weltkrieges auf die Region an unterer Theis und Donau. Im 19. Jahrhundert führte der Magyarisierungsdruck dazu, dass auch einzelne Banater Schwaben (also aus der deutschen Minderheit) sich ungarisch assimilierten. Modernisierung, Eisenbahnbau, Urbanisierung kennzeichneten die soziale Struktur der Landschaft, die ja im Bergland bedeutende Ressourcen an diversen Erzen Lind Kohle besaß, bis der Erste Weltkrieg einen der „Epochenbrüche“ für das Banat bedeutete, wie sie Sterbling in weiteren Artikeln auch für den Zweiten Weltkrieg, die Deportationen, die Enteignung und die Auswanderung konstatiert. Das Banat wurde 1919 geteilt mit Ungarn, Serbien und Rumänien als neuen Staatsträgern. Durch diese problematische Spaltung der Region ging die Wirtschaftskraft zurück, das Banat wurde zu einer neuen Grenzregion. Im größeren rumänischen Teil führte die Entwicklung zum Zweiten Weltkrieg über die Teilnahme der Schwaben an der nationalsozialistischen Bewegung hin zur Kriegsteilnahme und Flucht, mit dem Ergebnis einer von den neuen Regimen konstruierten Kollektivschuld der Deutschen, die zur Begründung von Deportationen in die Sowjetunion diente. Es ist interessant zu verfolgen, wie Sterbling vor allem diesen Epochenbruch als Ursache einer Retraditionalisierung der Schwaben herausarbeitet und dabei soziale Mobilisierung durch Bildung und Arbeitsverhältnisse andeutet. In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklung der Bundesrepublik als Bezugsgesellschaft zu verstehen.
Im Weiteren geht Sterbling ausführlicher auf die Geschichte der Banater Schwaben während des Sozialismus ein und beleuchtet die Aussiedlung, beginnend mit der wichtigen Tauwetterperiode der späten 1950er Jahre. Nun wurde der Einfluss westlicher Kultur spürbarer, es begann der Verkauf der Deutschen in die Bundesrepublik. Zwei Artikel schöpfen neben Sterblings theoretischer soziologischer Versiertheit vor allem auch von der Anschaulichkeit der eigenen Erfahrungen: einmal bei der Gegenüberstellung von Symbolkomplexen wie der katholischen Erstkommunion mit der sozialistischen Pionieraufnahme, ein andermal bei der Erschließung des Banater Berglandes als Industrieregion mit eigenen Besonderheiten, wobei der Autor Erlebnisse seines Studiums in Reschitza/Reşița einbezieht. Abgeschlossen wird dieser zweite Teil mit soziologischen Beobachtungen zur Integration der ausgereisten Banater Schwaben in der Bundesrepublik. Bevor im letzten Teil noch einmal interessante persönliche Beobachtungen und Analysen zu seiner Securitateakte sowie die Erinnerung an den Schriftsteller Paul Schuster den Band abschließen, wird in zwei Beiträgen Rumänien als Teil des Donauraums betrachtet, insbesondere in seinem Weg zum EU-Beitritt 2007. Der Sammelband bietet damit trotz einiger durch den Sammlungscharakter bedingten Wiederholungen den Interessenten am Banat und an Rumänien soziologisch und autobiografisch unterfütterten, reflektierten Lesestoff, den es so nicht häufig anzutreffen gibt.

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