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Rezensionen

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978-3-8440-5050-9
Wolfgang Hien, Herbert Obenland
Schadstoffe und Public Health
Ein gesundheitswissenschaftlicher Blick auf Wohn- und Arbeitsumwelt
Gesundheitswissenschaften
Rezension
Wohnmedizin, Heft 1, Mai 2018, S. 26ff., 26.06.2019

Die Publikation beschäftigt sich mit verschiedenen schadstoffbedingten Gesundheitsrisiken in der Wohn- und Arbeitsumwelt, der Risikodefinition und -kommunikation sowie mit der gesellschaftlichen Verantwortung in der Prävention. Einleitend wird darauf hingewiesen, dass Public Health und umweltbezogener Gesundheitsschutz in der Praxis nebeneinander herlaufen und in der Gesundheitsberichterstattung des Robert-Koch-Instituts der Schadstoff-Exposition in Wohn- und Arbeitsumwelt eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt. Die Untersuchung der Schadstoffbelastung der Bevölkerung ist eine Aufgabe des Umweltbundesamtes, während die Institutionen des Arbeitsschutzes in der Arbeitsumwelt gesundheitspräventiv tätig sind. In den Kapiteln „Arbeitsumwelt“ werden die Asbestproblematik, die arbeits- und berufsbedingten obstruktiven Lungenerkrankungen, die Styrolbelastung, krebserzeugende Arbeitsstoffe und der Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz diskutiert.
Die Kapitel „Wohnumwelt“ beschäftigen sich mit der gesundheitlichen Bewertung von pestizidbelasteten Wohnungen, dem Biological Monitoring, Humanbiomonitoring versus Ambient-Monitoring, der Leukämie bei Kindern durch PCB-belasteten Hausstaub sowie der Krebsgefahr für Kinder durch Tabakrauch-Rückstand. Kritisch wird auf den bereits 2004 in der Zeitschrift „Umweltmedizin in Forschung und Praxis“ erschienenen Artikel verschiedener Autoren zum Biological Monitoring eingegangen, der ein „Unwillen Gesundheitsrisiken rational abzuschätzen und die Lust an radikalen Maßnahmen“ konstatiert. Die Autoren dieser Arbeit wiesen darauf hin, dass bei der Expositionsabschätzung mit der darin enthaltenen Worst-Case-Betrachtung sowie der Herleitung der Interventions- und Zielwerte irrationale Relationen entstehen können. Mitarbeiter auf lokalen Ebenen, denen oftmals der erforderliche Sachverstand über die Zusammenhänge der Ableitung von Grenzwerten fehle, müssen anhand von Messwerten darüber entscheiden, welche Sanierungsmaßnahmen getroffen werden.
Das führe dazu, dass man sich strikt an den vorliegenden Grenzwerten und zur Sicherheit natürlich am kleinsten, d.h. dem Zielwert, orientiert. Dabei werden die speziellen Gegebenheiten der Erzielung der Messwerte ebenso wenig beachtet (z.B. Messung bei geschlossenen Fenstern und Türen und möglichst hohen Temperaturen), wie die speziellen Expositionsverhältnisse, z.B. die Aufenthaltsdauer in Räumen. Auch wenn der Interventionswert nicht überschritten wird, so reiche es häufig schon, wenn einige Messwerte höher liegen als der Zielwert, um aufwändige und kostenintensive Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. Betroffene üben oft, auch unterstützt durch die Medien, einen erheblichen Druck auf die lokalen Entscheidungsträger aus, die sich diesem nicht entziehen können. Zitat: „Dies alles führt in der Regel zur dramatischen Überschätzung der tatsächlichen Gesundheitsrisiken.
Der Druck der Betroffenen, der Öffentlichkeit und der Medien führt zur striktesten Auslegung der Mess- und Grenzwerte. Dies zieht (Sanierungs-) Maßnahmen nach sich, deren Aufwand im Verhältnis zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation jede Vernunft vermissen lässt. Es kommt zu einer sinnlosen und ethisch nicht zu vertretenen Verschwendung wirtschaftlicher Ressourcen, die dort fehlen, wo sie besonders notwendig wären, wie z.B. im Bereich der Bildung und Forschung.“ Es wird empfohlen, mittels des Biological Monitoring die vom Menschen tatsächlich aufgenommenen Schadstoffmengen abzuschätzen, statt sich auf worst-case-Betrachtung zu stützen.
Oberland weist in einer kritischen Stellungnahme zur oben zitierten Arbeit von 2004 darauf hin, dass es in Deutschland bislang ein oft schwer nachvollziehbares Nebeneinander und Gegeneinander verschiedener Regulationsbereiche gibt und dass die von der Bundesregierung 2000 eingesetzte Ad-hoc-Kommission „Neuordnung der Verfahren und Strukturen zur Risikobewertung und Standardsetzung im gesundheitlichen Umweltschutz der Bundesrepublik Deutschland“, kurz Risikokommission genannt, umfangreiche Vorschläge zum weiteren Vorgehen gemacht hat. Es gehe bei einer guten Risikoregulierung nicht um verschiedene Monitoring-Techniken, sondern in erster Linie um Maßstäbe und Standards, auf welche die Monitoring-Befunde zu beziehen sind. Es sei hierbei zu klären, welche Wirkungen eines Schadstoffes als advers betrachtet werden, wer mit welchem Schutzniveau zu schützen ist, ob es um Vorsorge oder Gefahrenabwehr geht und welches Maß an Unsicherheit toleriert werden soll. Letztlich müssen aber politische Instanzen entscheiden, da es sich hier um Setzungen gesellschaftlich-normativer Art handelt. Als Fazit wird darauf hingewiesen, dass die auf Extrapolation toxikologische Basisdaten und Ambient-Monitoring gestützte Risikoabschätzung Schwächen hat, das aber das Humanbiomonitoring nicht als untrüglicher Goldstandard für die Risikoabschätzung im Niedrigdosisbereich fungieren kann.
Im Kapitel Krebsgefahr für Kinder durch Tabakrauch-Rückstand wird der Frage nachgegangen, wie die tabakspezifischen Nitrosamine entstehen und welche Bedeutung ihnen für das Krebsrisiko bei Kindern zukommt, die Tabakrauch-Rückstand ausgesetzt sind. Beim Passivrauch steht die inhalative Exposition im Vordergrund, beim Tabakrauch-Rückstand (THS) als einem Kondensat aber die ingestive und dermale Exposition.
Die Autoren fordern, dass die Institutionen des öffentlichen Gesundheitswesens sowie private Institute, die auf dem Gebiet der Innenraumhygiene tätig sind, den THS eine besondere Beachtung schenken und vor allem rauchende Eltern minderjähriger Kinder über die im THS schlummernden Gefahren aufklären. So glauben viele Eltern, dass ihre Kinder ausreichend gegen Tabakrauch geschützt sind, wenn sie in deren Anwesenheit nicht oder nur auf dem Balkon rauchen. Das Auftreten von THS ist aber zeitlich und räumlich nicht an den Rauchvorgang gebunden und eine Exposition kann nur durch einen völligen Rauchverzicht vermieden werden.
Die vorliegende Aufsatzsammlung zeigt die Bedeutung verschiedener schadstoffbedingter Gesundheitsrisiken in der Arbeit- und Wohnumwelt auf, leistet einen Beitrag zur Aktivierung und Verbesserung des interdisziplinären Gedankenaustausches und ist allen zu empfehlen, die sich mit dem Einfluss von Wohnen und Arbeiten auf die Gesundheit beschäftigen.
Prof. Dr. med. Klaus Fiedler, Berlin

978-3-8440-5050-9
Wolfgang Hien, Herbert Obenland
Schadstoffe und Public Health
Ein gesundheitswissenschaftlicher Blick auf Wohn- und Arbeitsumwelt
Gesundheitswissenschaften
Rezension
Umwelt - Medizin - Gesellschaft Ausgabe 3-2017 Seite 59, 16.11.2017

Das Geleitwort von Erik Petersen beantwortet genau jene Frage, die auch dem geneigten Leser beim Blick in den Sammelband sogleich in den Sinn kommen mag: Ist der Inhalt der Publikation, Aufsätze aus den Jahren 1995 bis 2016, mit Erscheinen nicht bereits längst überholt? Nein - denn die Kombination "Schadstoffe und Public Health" ist ein in Deutschland noch immer stark vernachlässigtes Wissensgebiet, eine Zusammenfassung von Lehrbeispielen und Befunden zur begründbaren Gesundheitsprävention entsprechend für Interessierte ebenso wie für Therapeuten unbedingt empfehlenswert.

 

Die Themen dieses Buches sind (im Vergleich mit der stagnierenden Präventionsforschung) sehr aktuell. Ein "gesundheitswissenschaftlicher Blick" soll geschärft werden, beispielsweise dahingehend, dass es für langfristig toxische Arbeitsstoffe weder eine Eignung noch Eignungsuntersuchungen gibt. Einleitend werden Berufsethik und -Verantwortung als Basis der Public Health-Praxis mit einem Exkurs in die naturwissenschaftliche und umweltbezogene Forschung verbunden. Praktische Beispiele für das Auseinanderklaffen zwischen "wissenschaftlicher Erkenntnis" und "praktischer Umsetzung" werden etwa im Abschnitt Arbeitsumwelt veranschaulicht. Die Ausführungen zur Krebsgefährdung enthalten dabei den bemerkenswerten Satz: "Für krebserzeugende Arbeitsstoffe gibt es keine "Eignung" und deshalb auch keine Eignungsuntersuchungen!" Auch die lehrreiche Geschichte zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz- Wie Tabakindustrie und Arbeitsmediziner über Jahrzehnte einen gesetzlichen Schutz verhinderten birgt viel brisantes Material und offenbart ein blamables politisches Versagen.

 

Da jedes Individuum eine Wohnumwelt hat, ist auch jeder Leser von den kontroversen Bewertungen zum "Hausstaub" betroffen, die anhand eines aufsehenerregenden Falls zunächst unentdeckter Pestizidbelastungen in Frankfurter Kasernen der ehemaligen US-Housings geschildert werden. Aus übertriebener Hygieneanwendung wurde seinerzeit aus einer "Kakerlakenbekämpfung" (während der Abwesenheiten der Bewohner ohne deren Wissen durchgeführt} ein Skandal mit einem weitreichenden politischen Nachspiel. Allein der Versuch, derartige Erfahrungen zu bewahren, rechtfertigt bereits diesen Sammelband. So hatten sich als Experten agierende Hygiene- und Toxikologieexperten in bedenklicher Weise über den "Unwillen Gesundheitsrisiken rational abzuschätzen" kritisch mit der Aufdeckungsgeschichte und Klagen der Betroffenen in einer arroganten Weise auseinandergesetzt, denen offenbar jedes Verständnis für individuelle Empfänglichkeit für neurotoxische Wirkungen im Wohnumfeld fehlte. Dabei gilt Public Health eben gerade diesen individuellen Unterschieden der Suszeptibilität (im Gegensatz zur Arbeitsmedizin mit dem Fokus auf selbstgewählte Tätigkeiten). Betroffene wurden wegen ihrer Beobachtungen und Symptome eher verunglimpft als unterstützt. Da sich jeweilige "Experten" gleichzeitig als bewährte Gutachter betätigen und von Sozialgerichten mit Risikobewertungen beauftragt werden, sind die hier vorgelegte Serie von mehreren Beiträgen und die Kritik der beiden Herausgeber an der unwilligen Kritik der "Spezialisten" für Effektmonitaring ganz besonders relevant.

 

Abschließend behandelt ein 15-seitiger Beitrag "Schadstoffe und soziale Ungleichheit - ein Teufelskreis" anhand weiterer Fallbeispiele aus der Wohn- und Arbeitswelt dieses umfangreiche Gebiet. Eine immer wieder erstaunliche Gläubigkeit an sog. Grenzwerte, die oft in kurzer Zeit als überholt gelten, macht die bisherige Umgangsweise mit toxikologischen Werten und die oft behauptete "Lehrmeinung" als Konsens suspekt. Die Umweltmedizin hat auf diesem Gebiet die moralische Verpflichtung, bestehende Missstände und Gefälligkeitsaussagen williger Experten anhand des Wissensstands kritisch zu prüfen und im Interesse der international geltenden wissenschaftlichen Standards zu korrigieren.

 

Die Zusammenstellung von Beiträgen hat sich aus langer berufsbedingter Erfahrung des Autorenduos ergeben, da hochwissenschaftliche Publikationen oft nicht ausreichend schnell und effektiv umgesetzt werden, sodass sich erst in der Retrospektive viele Versäumnisse ausmachen lassen. Die Asbesttragödie als Einstieg (gleich nach dem Kapitel Ethik) knüpft an die unethisch ignorierten Gefahren und das in Kauf genommene Massensterben an, obwohl die prinzipielle Evidenz für Kausalität längst feststand. Noch aktueller ist der Exkurs mit dem Ziel, Empfindlichkeit und Empfänglichkeit (am Beispiel der Styrolbelastung) zu beleuchten, weil hierzu auch die epidemiologische Forschung bisher bemerkenswert wenig beigetragen hat.

 

Krebserkrankungen von Frauen werden eigens thematisiert; sie werden nicht nur in der Forschung, sondern auch im (veralteten) Berufskrankheitenrecht vernachlässigt. Dabei sind Nachtschichtarbeit wie auch Tätigkeiten in der chemischen Industrie längst auch für Frauen als besonders unphysiologische und die hormonelle und autonome Regulation des weiblichen Körpers direkt belastende Berufsfaktoren anerkannt. Auch aus der Wohnumwelt können sich pathogene Situationen ergeben, da durch den täglichen Aufenthalt im Haushalt sowie im außerberuflichen Milieu durchaus unerkannte (oder sogar erkannte) Risikofaktoren einwirken können. Um diese wurde bereits jahrelang wegen zustehender Entschädigungen juristisch gestritten. Was sich als wesentlich herausstellte, waren verallgemeinerungsfähige präventive Aspekte in Situationen, die ubiquitär auftreten können. Aus solchen Beobachtungen und deren wiederholte Überprüfung auf konsistente Effekte, die in Public Health-Maßnahmen umsetzbar sind, resultiert die Berechtigung für aufwändige epidemiologische Studien unter Einbeziehung sozialer Ungleichheit mit Berücksichtigung individueller Risikofaktoren, auch um falschen Alarm oder unberechtigte Bedenken ausschließen zu können. Dabei ist der jeweilige finanzielle Sponsor bzw. die Unabhängigkeit der Forschung immer im Auge zu behalten. Hierzu rufen die beiden Autoren, die aus der praktischen Berufsweit chemischer Laborarbeit einschlägige Kenntnisse und Erfahrungen mitbringen, nachdrücklich auf.

 

Rainer Frentzei-Beyme

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