Header

Rezensionen

Rezensionen
Richard Albrecht
Völkermord(en)
Genozidpolitik im 20. Jahrhundert
Rechtswissenschaft
Rezension
ZPol-Heft 3/07, 18.11.2009

Albrecht ist Sozialwissenschaftler, er habilitierte sich im Fach Politikwissenschaft und ist Herausgeber des Online-Magazins "rechtskultur.de" für Menschen- und Bürgerrechte. Der Autor diskutiert die Genozidpolitik im 20. Jahrhunder unter der Leitfrage von Völkermord- und Genozidverhinderung. Zunächst definiert er die Bergiffe und setzt sich mit den theoretischen Arbeiten hierzu auseinander. Sodann werden Genozid und Völkermord "als staatlich geplantes und organisiertes Menschheitsverbrechen" am Beispiel der Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs erläutert - Albrecht spricht vom "Armenozid" (36). Diesen bezeichnet er als "Prototyp staatlich geplanter und organisierter genozidaler oder Völkermordhandlungen" (97). Außerdem erinnert er an die koloniale Vernichtungspraxis in Deutsch- Südwestafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie an die antiserbische Genozidpolitik im kroatischen Ustascha-Staat des Zweiten Weltkriegs, den "Serbozid" (71). Abschließend fordert er dazu auf, ein "Frühwarnsystem" (131) zu entwickeln, damit Völkermordtendenzen rechtzeitig identifiziert und bereits im Vorfeld verhindert werden können. /STE

Richard Albrecht
Völkermord(en)
Genozidpolitik im 20. Jahrhundert
Rechtswissenschaft
Buchvorstellung
Reinhard Pohl in: Gegenwind 222, März 2007, 09.05.2007

Um die "Genozidpolitik im 20. Jahrhundert" soll es in dem Buch von Richard Albrecht gehen. Er wählt den "Armenozid" 1915 und den "Serbozid" 1941 als Beispiele aus, es geht ihm aber um Deutschland und die deutsche Haltung dazu. Der Völkermord an den Armeniern begann im Herbst 1914 mit Massakern an einzelnen Dörfern. Anfang 1915 wurden die armenischen Soldaten aus der türkischen Armee selektiert, entwaffnet, zur Zwangsarbeit geführt und schließlich ermordet, am 24, April 1915 wurde die intellektuelle Elite der Armenier nach vorbereiteten Listen verhaftet, deportiert und ermordet. Damit begann die Ausrottung des 2-Millionen-Volkes in der Türkei im großen Stil. Einen Monat später, am 24. Mai 1915, richteten die Alliierten eine Botschaft an die Führung des osmanischen Reiches: Die neuen Verbrechen des türkischen Regimes gegen die Menschheit und die Zivilisation wurden verurteilt, die politisch Verantwortlichen würden dafür zur Rechenschaft gezogen. Es war eine schnelle Reaktion auf einen beginnenden Völkermord, die alliierte Drohung wurde aber ignoriert. In den nächsten zwei Jahren starben rund 75 Prozent aller Armenier. Die Note der Alliierten wurde nicht von der osmanlschen Regierung beantwortet, sondern von der kaiserlichen Regierung in Berlin als Führungsmacht der Mittelmächte. Dabei fiel gleich auf, dass ein (absichtlicher?) Übersetzungsfehler den Vorwurf zunächst verniedlichte, bevor er zurückgewiesen wurde: Aus dem französischen "ces nouveaux crimes contre l´humanité et civilisation" wurden auf deutsch: "dieses neue Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zivilisation". Die alliierte Identifikation, die Ausrottung der Armenier ist ein Verbrechen gegen die gesamte Menschheit ("Wir sind alle Armenier" lautete jetzt auch die Parole in Istanbul, mit der gegen die Ermordung Hrant Dinks protestiert wurde), verniedlichte die Regierung zur Behauptung, lediglich die Menschlichkeit der türkischen Politik ließe zu wünschen übrig. Dieser Übersetzungsfehler zieht sich durch die Übersetzung der Prozesse von Nürnberg und hat es heute ins Strafgesetzbuch geschafft. Der Völkermord an den Armeniern gilt heute als der Prototyp des Völkermordes im 20. Jahrhundert. Hanna Arendt schrieb in ihrem Buch zum Eichmann-Prozess: "Wenn ein spezifisches Verbrechen erst einmal begangen ist, ist seine Wiederholung wahrscheinlicher, als sein erstes Auftreten je war." Und in seinem Buch "Völkemord und Staatsmacht" schrieb der US-Soziologe Irving Horowitz: "The fate of the Armeniens is the essential prototyp of genocide in the twentieth century." Deshalb stellt der Autor zunächst diesen Völkermord vor. Im wesentlichen interessiert ihn aber die deutsche Debatte dazu, zugespitzt die Bundestagsdebatte vom April 2005. Zwar verabschiedete der Bundestag einstimmig eine Resolution, in der die Türkei zur Aufarbeitung seiner Geschichte aufgefordert wurde, verschob die Abstimmung aber wegen des bevorstehenden Staatsbesuches von Bundeskanzler Schröder in der Türkei um drei Monate und vermied in der Resolution auch den Begriff "Völkermord" - aus Rücksicht auf die türkische Regierung. Zwei Abgeordnete nutzten aber die Verabschiedung, um in Briefen alle Bildungsministerinnen und Bildungsminister der Länder aufzufordern, den Völkermord an den Armeniern in den Geschichtsunterricht aufzunehmen, eine Forderung, die inzwischen in mehreren Bundesländern umgesetzt wurde. Der Serbozid, die Ausrottung der Serben im faschistischen Kroatien 1941 bis 1943, spielte sich nach ähnlichem Muster ab. Zunächst als Vertreibungen angekündigt und getarnt, wurden über eine Million Serben umgebracht, über eine viertel Million konvertierte zum katholischen Glauben und rettete damit sein Leben. Dieser Völkermord geschah so eiskalt und brutal, dass sogar die deutschen Besatzungssoldaten, im Prinzip Verbündete der kroatischen Ustascha-Regierung, in Berlin protestierten. Hitler griff selbst ein und verbot jede Kritik. Im letzten Kapitel kommt der Autor wieder auf den Völkermord an den Armeniern zurück, referiert jetzt aber im Wesentlichen die Reaktion von Karl Liebknecht in Deutschland. Dort war der Völkermord vom ersten Tag an bestens bekannt, heute stehen mehrere tausend Berichte deutscher Diplomaten, Reisender, Missionare, Schwestern und Offiziere darüber im Internet. Alle Journalisten mussten während des Krieges die Anweisungen des "amtlichen Zensurbuches für die deutsche Presse" befolgen. Dort fand sich zur "armenischen Frage" die Anweisung: "Über die Armeniergreuel ist folgendes zu sagen: Unsere freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei dürfen durch diese innertürkische Verwaltungsangelegenheit nicht nur nicht gefährdet, sondern im gegenwärtigen, schwierigen Augenblick nicht einmal geprüft werden. Deshalb ist es einstweilig Pflicht zu schwelgen. Später, wenn direkte Angriffe des Auslandes wegen deutscher Mitschuld erfolgen sollten, muss man die Sache mit größter Vorsicht und Zurückhaltung behandeln und später vorgeben, dass die Türken schwer von den Armeniern gereizt wurden." An die letzte Anweisung, den Opfern selbst die Schuld zu geben, indem "armenische Aufstände" erfunden werden, hält sich die türkische Botschaft in Berlin übrigens bis heute. Noch während des Krieges erging eine zweite Anweisung: "Über die armenische Frage wird am besten geschwiegen. Besonders löblich Ist das Verhalten der türkischen Machthaber in dieser Frage nicht! Aufsätze über die armenische Frage unterliegen der Vorzensur." Liebknecht als Reichstagsabgeordneter umging das Verbot, indem er das damals neu geschaffene Instrument der "Kleinen Anfrage" nutzte. Er war damals schon fraktionslos. Rosa Luxemburg saß im Gefängnis. Einige Anfragen, in denen Liebknecht Vokabeln wie "Armenierausrottung" und "furchtbare Gemetzel" benutzte, erschienen auch in den Protokollen der Reichstagssitzungen, obwohl sie nicht beantwortet wurden. Andere wurden vom Präsidium gleich abgelehnt und auch aus dem Protokoll entfernt. Im Schlusskapitel beschäftigt sich der Autor mit der Frage eines "Frühwarnsystems". Er sieht in unbestraften oder "vergessenen" Völkermorden wie dem an den Armeniern den direkten Vorläufer und auch die Inspiration für die Shoah, die Ausrottung der europäischen Juden. Die Totalität des Verbrechens unter Hitler ist insofern kein einmaliges Ereignis, sondern vielmehr der "deutsche Sonderweg" auch beim Völkermord, dem typischen und eben nicht einmaligen Verbrechen des 20. Jahrhunderts.

Shaker Verlag GmbH
Am Langen Graben 15a
52353 Düren
  +49 2421 99011 9
Mo. - Do. 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr
Fr. 8:00 Uhr bis 15:00 Uhr
Kontaktieren Sie uns. Wir helfen Ihnen gerne weiter.
Social Media